Eine der im Ort heiß umstrittenen Fragen ist diejenige nach der Herkunft und Bedeutung des Straßennamens „In Ägypten“. Um die Herkunft zu klären, muss man wissen, wann und in welcher Schreibweise der Name „In Ägypten“ erstmals auftaucht. Kataster-, Flur- und Grundkarten müssen verglichen und ausgewertet, alte Urkunden und Kaufverträge durchgesehen werden. Weiter sollte geprüft werden, ob der Name in anderen Orten ebenfalls gebräuchlich ist.
„In Aeggypten“ erscheint erstmals 1835 als Berichtigung von Lagebezeichnungen im Urflurbuch. Darin wird die alte Flurbezeichnung „Im Schabelsgarten“ gestrichen und durch die neue ersetzt. Dieser Wechsel von Flurbezeichnungen findet sich auch auf einer Flurkarte von 1862. Auch hier wird anstelle von „Im Schabelsgarten“, aber auch von „Im Achtgarten“ die neue Bezeichnung „Aegypten“ gesetzt.
Dieser Wandel von Flurnamen und deren Lagen spiegelt sich in dem Katasterplan des Ortskernes von 1870 wieder. Nochmals zum Vergleich: in der Dorfkarte des Jahres 1821 sind folgende Flurnamen verzeichnet: Auf der Hosters - Im Dorf - Im Schawelsgarten - Im Achtgarten - In den Campen - Im Kampsgarten. 1870 lesen wir: Im Hostersgarten - Bei der Kirche - Mitten im Dorfe - Im Achtgarten - In Ägypten. Nördlich schließt sich noch die Flur „In den Kampen“ an.
Somit ist festzuhalten: Bei „In Ägypten“ handelt es sich um eine Flurbezeichnung, der nach dem heutigen Stand der Dinge 1835 erstmals in den Flurbüchern erscheint. Da vor der Übernahme in Katasterpläne ein längerer mündlicher Gebrauch vorauszusetzen ist, ist die Bezeichnung wohl noch älter.
Folgende Deutungsversuche für das Auftauchen als Flur- und Straßenname im 19. Jahrhundert sind uns bisher bekannt: Die einen behaupten, dem Straßenname liege folgende alte Geschichte zugrunde: Als einmal ein Schiff in Wiltingen anlegte und seine Ladung löschte, wurden Milch und Honig im unteren Dorf verschüttet, so dass die Leute davon sprachen, dort sei wohl die Gegend, wo Milch und Honig fließe, was als Synonym für Ägypten benutzt wurde.
Eine andere „biblische“ Erklärung stellt einen Zusammenhang zwischen den Überschwemmungen der Saar und denen des Nils her.
Möglich ist auch, dass dem Namen „Ägypten“ ein anderes Wort zugrunde liegt, das vielleicht ähnlich klang, aber nicht mehr verstanden und daher in „Ägypten“ umgewandelt wurde. Von Lehrer Hilarius Stoll sind zwei weitere Deutungsversuche überliefert: Eine Herleitung von einem engl. Wort für „fliehen“, da sich dort einmal Flüchtlinge (woher?) aufgehalten hätten. Weiter hätten die Kanzemer ihren beschwerlichen Weg zur Messe nach Wiltingen mit dem Übersetzen über die Saar, der im unteren Ortsteil endete, mit dem Zug durchs Rote Meer verglichen.
Eine sechste Erklärung lautet, dass in dem ehemaligen Huisgenhaus (heute: Schreinerei Drangmeister) Mitte des 19. Jhs. ein Offizier lebte, der in englischen Diensten auch in Ägypten diente. Er habe von dort seine Frau mitgebracht, die auch das Haus „orientalisch“ ausstattete. So habe sich unter der Dorfbevölkerung die Bezeichnung „im Ägypten Ecken“ für diese Gegend eingebürgert, die dann, als man Straßennamen einführte, offiziell übernommen wurde.
Kapelle in Ägypten
An der Straße „In Ägypten“ und angrenzend an einen Garten, der zur Flur „In der Acht“ gehört, steht eine Kapelle, in der sich ein 1,60 m hohes Altarkreuz auf einem mächtigen Altartisch aus Sandstein befindet.
Früher stand das Kreuz frei und wurde erst Ende des 19. Jhs. durch eine spitzbogige, offene Nischenrahmung eingefasst. Das barocke Kreuz selbst wurde wohl um 1700 errichtet. Auf der Vorderseite des Altartisches ist das Monogramm ML zu lesen, dazu ist ein Abtsstab gesetzt. Dies besagt, dass das Kreuz vom Kloster Mettlach errichtet wurde. Es diente als Grenzstein zwischen dem zum Mettlacher Benediktinerkloster gehörenden Gutshof (der Rauhof) und der Gemeinde.
Von dieser Funktion, der Abgrenzung des Bannbezirkes (der Acht) des Klosters, leitet sich auch der Flurname ab. In dem Bereich, der durch das Kreuz zur Gemeinde hin abgegrenzt wurde, war für kleinere Straftaten (Niedergerichtsbarkeit) der Mettlacher Abt und nicht die Wiltinger Herren zuständig. Alljährlich gehen die Wiltinger mit der Prozession zu diesem Kreuz, der ersten Station des Fronleichnamumzuges.
Der Garten und die Kapelle befinden sich heute im Besitz der Familie Mangrich. 1989 wurde es auf deren Initiative mit Unterstützung aller Bewohner des Ortsteils „In Ägypten“ restauriert.
Hierfür erhielt die Familie Mangrich 1990 den Ehrenpreis der Gemeinde.